Manuskript der Gedenkansprache als PDF-Datei herunterladen.
Textfassung (mit Abbildungen):
Der nachfolgende Beitrag ist keine Studioaufnahme. Es handelt sich um den Originalmitschnitt einer Gedenkansprache, die ich am 15. September 2020 an den Gräbern von Henny und Heiko Ploeger auf dem Friedhof »Ewiger Frieden« in Herford gehalten habe. Kleinere technische Mängel sind der besonderen Situation einer Aufnahme mit bescheidenen Mitteln auf dem Friedhof geschuldet.
Geschichtliche Erinnerung und das Gedenken an vergangene Ereignisse funktioniert nach Gesetzen, die manchmal seltsam erscheinen. Für die meisten Menschen, die regelmäßig an einem 15. September, dem Todestag von Heiko Ploeger, sein Grab besuchen, ist das Gedenken sicherlich immer verbunden mit warmen Spätsommertagen. Je später die Nachmittage dann werden, desto rötlicher und wärmer wird auch das Sonnenlicht, das auf einen etwas zu groß dimensionierten und auch etwas ungewöhnlich geformten Grabstein trifft. Diese Szenerie schafft immer auch eine besondere Stimmung.Die Inschrift des Steins lautet: Er starb für Wahrheit, Freiheit, Recht. Hier soll an jemanden erinnert werden, der für etwas Gutes gestorben ist, so als hätte er das gewollt. An ein Opfer.
Das Gefühl des Spätsommers, auch die mit dem Pathos ihrer Zeit beladenen Worte, prägen ein Bild für die Überlebenden und für die Nachgeborenen. Was wir mit einer Geschichte verbinden und die realen Ereignisse passen manchmal überhaupt nicht zusammen.
Um zu verstehen, was da geschieht und was dahinter steht, scheint es sinnvoll, noch einmal zurück zu gehen an den Anfang.
Heiko Ploeger wurde am 12. Januar 1946 hier beigesetzt. Heute unvorstellbar, hatten damals Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam zur Teilnahme an dieser Beisetzung aufgerufen. Auf einem Flugblatt von KPD und SPD in Herford hieß es: „Wir sind es dem Ermordeten schuldig, durch eine Massenbeteiligung aller schaffenden, antifaschistischen Herforder aus Stadt und Land ihm die Ehre zuteil werden zu lassen, die diesem tapferen Kämpfer gebührt.“
Man spürt es, hier ist acht Monate nach dem Kriegsende deutlich der Wunsch da, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden, die vor 1933 den Aufstieg der Nazis begünstigt hatte. Fast könnte man sagen, für Herford war diese Beisetzung ein gesellschaftliches Ereignis. Das städtische Orchester spielte, es sang der Volkschor. Mehrere hundert Menschen waren an diesem Samstagnachmittag gekommen, die große Mehrzahl zu Fuß. Es galt noch die Sechs-Tage-Woche, das heißt, die meisten hatten noch bis zum Mittag arbeiten müssen. Jetzt standen sie frierend auf der großen Freifläche am Eingang des Friedhofes, wo die Gedenkfeier stattfand. Nach mehreren Frosttagen zuvor, regnete es bereits die ganze Woche.
Als Waltraud Schlüter, die Nichte von Heikos Ehefrau Henny Ploeger mit ihrer Mutter dort eintraf, waren sie für einen Moment fassungslos. Dort standen tatsächlich zwei Särge aufgebahrt. Beiden sah man an, dass sie bereits in der Erde gewesen waren. Eines war der Sarg Heiko Ploegers, in dem er nach seiner Hinrichtung im September 1944 auf dem Dortmunder Hauptfriedhof beerdigt worden war. Er war am Tag zuvor mit den Särgen von 11 weiteren dort hingerichteten Bielefelder Arbeitern aus Dortmund nach Ostwestfalen geschafft worden. Die ermordeten Bielefelder wurden in einem Ehrenfeld auf dem Sennefriedhof beigesetzt.
Dafür, dass Heiko Ploeger zurück nach Herford kam, hatte entscheidend Wilhelm Osterhagen gesorgt, ein direkter Nachbar der Ploegers in der Herforder Johannisstraße. Er hatte einen LKW mit Holzvergaser besorgt, um den Leichnam seines Nachbarn aus Bielefeld zu holen. Am Morgen der Beisetzung war er mit demselben LKW nach Osnabrück gefahren, um Heiko Ploegers dort lebende Eltern zu holen, damit sie an der Beisetzung teilnehmen konnten.
Osterhagen kannte das Schicksal der Ploegers nur zu gut. Er war KPD-Mitglied. In den Anfangsjahren der Naziherrschaft hatte er mit seinem Sohn Willy heimlich Flugblätter gegen das Regime verteilt. Es spricht vieles dafür, dass auch Henny und Heiko Ploeger an diesen Aktionen beteiligt waren. Der junge Willy Osterhagen wurde später 999er, das heißt er kam als politisch »Unzuverlässiger« in ein politisches Strafbataillon. Er überlebte es nicht. Seine Mutter ging an dem Kummer über den Tod ihres Sohnes zugrunde. Sie starb innerhalb weniger Monate danach.
Der zweite Sarg, der am 12. Januar 1946 neben Heiko Ploeger aufgebahrt war, gehörte seiner Ehefrau Henny. Auch sie war ein halbes Jahr nach der Ermordung ihres Mannes gestorben und in einem Einzelgrab auf dem Ewigen Frieden beigesetzt worden. Nun war es offensichtlich ihr Nachbar Wilhelm Osterhagen, der dafür sorgte, dass die beiden nebeneinander beerdigt werden konnten.
Etwas ketzerisch gesagt, geriet Henny Ploeger nun in die Rolle, die Frauen ihrer Generation allgemein zugedacht wurde. Nach außen stand ihr Mann im Vordergrund. Sie war die Frau »an seiner Seite«, immer da, immer unauffällig, immer still. Auch für Heiko Ploeger war es – nach allem, was wir über ihn wissen – durchaus normal, wenn sie einen Pullover für ihn strickte oder ihm seine Kanne Friesentee kochte. Aber die Fürsorglichkeit der beiden war wohl gegenseitig. Offenbar liebten sie sich als Paar wirklich und begegneten einander auf Augenhöhe. Nichts spricht dafür, dass er sie hinter sich verdeckt wissen wollte, oder gar vergessen.
Wer also war diese Frau, die hier seit 74 Jahren weitgehend unbeachtet begraben liegt?
Die Antwort beginnt wieder mit ihrem Mann. Am 18. Januar 1944 wurde er verhaftet. Ein größeres Rollkommando unter den Bielefelder Gestapo-Beamten Karl Kaufmann und Otto Rethmeier war an seinem Arbeitsplatz in der sogenannten Kanonenfabrik der Firma Dürkopp in Künsebeck bei Halle aufgetaucht. Die Verhaftungsaktion richtete sich gegen Ploeger und mindestens sechs weitere Kollegen.
Aber hier wurden keine politischen Heißsporne in Handschellen gelegt. Abtransportiert wurden 45- bis 55-jährige Ehemänner und Familienväter. Facharbeiter, die eigentlich unersetzlich waren. Für sie gab es einen dramatischen Mangel. Die Verhaftung einer solchen Gruppe aus der laufenden Produktion war eine Machtdemonstration.
Ohne die Zustimmung und Mitwirkung der Unternehmensleitung war sie undenkbar. Zu erklären nur, weil es Männer waren, die in den Rauchpausen regelmäßig die Köpfe zusammensteckten. Rüstungsarbeiter, die sich gegenseitig über die Kriegslage informierten und die es immer häufiger wagten, das Ende der NS-Herrschaft nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich zu halten – ja, sogar über ein besseres Deutschland danach nachzudenken.
Wir dürfen davon ausgehen, dass sich die Nachricht über die Verhaftungen wie ein Lauffeuer im Unternehmen verbreitete. Die Gefangenen wurden nach Bielefeld gebracht ins Polizeigefängnis in der Turnerstraße. Die damaligen technischen Kommunikationsmöglichkeiten ließen es als weitgehend ausgeschlossen erscheinen, dass Familienangehörige und andere von der Aktion erfuhren. Die Gestapo-Beamten hatten Zeit, nun die Durchsuchung der Wohnungen der Verhafteten und die Vernehmungen ihrer Angehörigen vorzubereiten.
Der 18. Januar 1944 war ein Dienstag. Als Henny Ploeger an diesem Abend wieder in ihrer Wohnung in der Herforder Johannisstraße eintraf, kam sie von einem 10-Stunden-Arbeitstag. Sie arbeitete im Herforder Bekleidungsunternehmen Tofohte. Bekleidung, das hieß in den Jahren des totalen Krieges, Uniformen und Militärmäntel. Mindestens sechzig Stunden an sechs Tagen in der Woche.
Draußen war es längst dunkel und ungemütlich, nasskalt, um null Grad. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie sich darauf freute, den Kohleherd in ihrer ausgekühlten Wohnküche wieder anzuheizen. Auch sich selbst mit einem Getränk aufzuwärmen. Bis sie den Tee für Ihren Heiko aufsetzen konnte, würde es wohl noch etwas dauern. Er kam mit der Bahn aus Künsebeck und musste in Brackwede umsteigen.
An Sonntagen leistete sich Henny Ploeger den bescheidenen Luxus von echtem Bohnenkaffee. Ein viertel Pfund davon durfte Nichte Waltraud etwa alle zwei Wochen für ihre Tante einkaufen. Sie machte das nur zu gerne, denn meistens konnte sie dann sonntags auch die Handkurbel der Kaffeemühle drehen.
Wie in den Haushalten der kleinen Leute üblich, wurde auch bei den Ploegers der Prütt, also der Kaffeesatz, nicht weggeworfen. Was sonntags übrigblieb, wurde aufbewahrt, um wochentags zum „Zweiten Aufguss“ zu werden, meistens mit etwas Ersatzkaffee angereichert, der im Volksmund „Muckefuck“ oder Blümchenkaffee genannt wurde. Was dann noch übrigblieb, kam als Dünger an die Kakteen, die Heiko Ploeger auf dem Fensterbrett züchtete.
Ich erwähne diese Dinge nicht, um eine naive Nostalgie der Kleinen Leute zu pflegen. Solche Dinge erscheinen mir wichtig, weil unser heutiges Bild von Verfolgung und Widerstand viel zu häufig geprägt ist von Hollywood-Schablonen, in denen stahlharte Männer mit markanten Gesichtszügen und fusselfreien Uniformen immer konsequent ihren Weg gehen.
Ein Tom Cruise mit Stauffenberg-Augenklappe, muss in »Operation Walküre« natürlich nie heizen, auch nie Kohlen schleppen. Wenn er sich auf etwas freute, dann war es ganz sicher nie eine warme Tasse zweiter Aufguss mit Muckefuck zum Feierabend. Dass die Ploegers bis jetzt überlebt hatten, verdankten sie sicher auch der Tatsache, dass sie nicht nach einem Hollywood-Schema lebten. Menschen, die tatsächlich im NS-Staat überleben wollte, die mussten sie sich verhalten, als lebten sie in Feindesland.
Aber zurück zum 18. Januar 1944 in der Johannisstraße. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Gestapobeamten Karl Kaufmann und Otto Rethmeier vor einer völlig überraschten, wahrscheinlich auch fassungslosen Henny Ploeger standen, als sie in ihren Klepper-Mänteln bei ihr schellten. Vermutlich hatte sie auch Angst. Ob sie das gezeigt hat, wissen wir nicht. Wie es in ihr ausgesehen haben mag, als sie von der Verhaftung ihres Mannes hörte, können wir uns wohl kaum vorstellen.
Es gibt keine Aussagen oder Dokumente über den Verlauf dieser Hausdurchsuchung. Alle Unterlagen von Gestapo und Staatsanwaltschaft zu diesem Verfahren wurden 1945 vernichtet. Vermutlich führte Rethmeier das Beschlagnahmeprotokoll für die Ermittlungsakten, während Karl Kaufmann drohend und polternd durch die Wohnung zog. Von anderen Aktionen ist bekannt, dass die beiden immer wieder im Stil von »Good Cop – Bad Cop« vorgingen. Es ging darum, ihre Opfer mit einer Mischung aus wüsten Drohungen und vermeintlicher Freundlichkeit gefügig zu machen. Mit Sicherheit beschlagnahmten sie die Radioanlage der Ploegers, gewissermaßen das Beweisstück für die vermeintlichen Rundfunkverbrechen, das Abhören der sogenannten Feindsender.
Denkbar ist, dass sie auch Heiko Ploegers Exemplar des Romans „Im Westen nichts Neues“ fanden. Er hatte es 1928/29 in der Gewerkschafts-Buchhandlung im Herforder Volkshaus am Alten Markt gekauft. Kurz zuvor hatten Henny und er geheiratet. Das Buch markierte gewissermaßen seinen Zugang zur Arbeiterbewegung, den er mit ihr und ihrer Familie gefunden hatte: Volkshaus, das bedeutete für ihn Metallarbeitergewerkschaft, Buchhandlung, der Konsumverein, Arbeiter-Schach-Club, Arbeiter-Radio-Bund, dazu die SPD, die sich damals noch vornehmlich als Partei der arbeitenden Menschen verstand. Das war einmal eine eigene Kultur, eine eigene Welt gewesen. Remarques Roman gehörte 1933 zu den offiziell verbrannten Büchern.
Wir dürfen sicher sein, dass Henny Ploeger bei der Durchsuchung vernommen wurde. Verhaftet wurde sie nicht. Das spricht dafür, dass sich die Aktion hauptsächlich gegen die Dürkopp-Arbeiter richtete.
Ganz sicher wird Henny Ploeger von Kaufmann und Rethmeier gewarnt worden sein, mit anderen über die Details der Verhaftung ihres Heiko zu sprechen. Mit wem sie sprach und was sie dabei sagte, ist nicht bekannt. Vielleicht ist dies auch ein Hinweis darauf, wie allein und auf sich gestellt sie ab diesem Zeitpunkt war.
Sicherlich konnte sie mit ihren Eltern reden, die gut 150 Meter entfernt in der Tribenstraße lebten. Ein anderer Ansprechpartner war vermutlich der Nachbar Wilhelm Osterhagen. Er hatte politische Verfolgung selbst erlebt und vermutlich noch Kontakt zu anderen »Politischen« hatte. Aber natürlich bedeutete solch ein Kontakt Chance und Risiko zugleich.
Verbindung zu Heiko Ploegers Eltern in Osnabrück war möglich, aber schwierig. Sie und auch die Ploegers hatten keinen Telefonanschluss. In solchen Fällen was es üblich, jeweils in einer Kneipe in der Nachbarschaft anzurufen und dann eine Anrufzeit zu vereinbaren. Aber die Verhaftung eines Familienangehörigen aus politischen Gründen war nun mal kein Thema, um darüber öffentlich hörbar am Telefon in einer Kneipe zu reden.
Aber kein Gespräch, mit wem auch immer, konnte ihr helfen, das zu finden, was sie wirklich wollte: wissen, wo ihr Heiko war, wie es ihm gehen mochte, wie groß die Gefahr und die Bedrohung für ihn wirklich war, ob sie oder andere ihm irgendwie helfen konnten.
Kaufmann und Rethmeier werden ihr gesagt haben, dass Heiko Ploeger von jedem Kontakt zur Außenwelt abgeschlossen war, so lange die Gestapo gegen ihn »ermittelte«. Das bedeutete: keine Besuche, keine Briefe, keine Pakete. Einen ersten Brief von ihm dürfte sie nach mehr als zwei Monaten, in der zweiten Märzhälfte bekommen haben. Ploeger befand sich nun im Bielefelder Gerichtsgefängnis.
Ab jetzt durfte er ihr alle zwei Wochen sonntags einen Brief schreiben. Wöchentlich konnte er einen Brief von seiner Frau erhalten. Sie durfte ihn ab jetzt einmal im Monat besuchen. Aber all diese Dinge waren nie verbindlich. Briefe waren tagelang, manchmal über Wochen unterwegs. Sie wurden von der Zensur überprüft. Mindestens ein Brief von ihm wurde dabei »kassiert«. Das bedeutete, mindestens vier Wochen erhielt seine Frau deshalb kein Lebenszeichen von ihrem Liebsten. Er erhielt den ersten Brief von ihr erst nach fast einem Vierteljahr, am 15. April.
Besuchstermine mussten vorher schriftlich beantragt werden. Wurde sie genehmigt, bedeutete das jedoch nicht, dass sie auch zustande kamen. In mindestens zwei Fällen reiste Henny Ploeger umsonst nach Bielefeld, weil Karl Kaufmann ihren Mann unangekündigt zum Verhör ins Gestapo-Gebäude geholt hatte.
Das tatsächliche Ausmaß von Unrecht, Verfolgung, Willkür, Gemeinheiten, Provokationen war viel größer, aber schon so wird nachvollziehbar, dass bei beiden alle Dämme brachen, als sie sich in der ersten Maihälfte, also nach fast vier Monaten, tatsächlich zum ersten Mal wiedersehen konnten. In seinem nächsten Brief an sie schrieb er darüber: „Du hast wohl einen ordentlichen Schreck gekriegt, wie Du mich sahst, und bei mir war die Erregung auch zu groß, dann ist man weicher, als man will.“
Bei diesem Termin erkennen sie offensichtlich auch, dass sie beide nur noch Schatten ihrer selbst sind. Bereits in den ersten sieben Wochen seiner Haft hatte Heiko Ploeger zwanzig Kilo Gewicht verloren. Essensentzug gehörte zu den bevorzugten Foltermethoden der Bielefelder Gestapo zur Erpressung von Aussagen.
Aber auch Henny Ploeger war deutlich abgemagert. Das lag offensichtlich daran, dass sie eine zusätzliche Arbeit angenommen hatte, um einen Rechtsanwalt beauftragen zu können. Allerdings hielt sie dies vor ihrem Mann noch geheim. Später haben Heikos Eltern wohl einiges Geld dazu gegeben.
Aber einen Rechtsanwalt zu beauftragen, bedeutete nicht, dass dieser auch tätig wurde. Henny beauftragte einen Bielefelder Anwalt für den Prozess vor dem Oberlandesgericht in Hamm. Als dieser vierzehn Tage vor dem Prozess das Mandat wegen Krankheit zurückgab, musste sie versuchen, kurzfristig einen Anwalt aus Hamm zu verpflichten. Natürlich ohne dort jemanden zu kennen
Solche Beispielen geben vielleicht ansatzweise eine gewisse Idee, wie unendlich schwierig der ungleiche Kampf dieser kleinen zierlichen Näherin aus Herford war gegen die funktionierende Bürokratie und Justiz eines Regimes war, das einen Vernichtungskrieg gegen das eigene Volk führte.
Kaum vorstellbar, aber es war wohl so, dass Henny und Heiko Ploeger sich zum letzten Mal am 15. August 1944 bei der Verkündung des Todesurteils im Hamm sahen. Miteinander reden konnten sie dort nicht mehr. Bis zu seiner Hinrichtung in Dortmund konnte Henny Ploeger wohl nicht mehr zu ihm. Stattdessen war sie neben ihrer Arbeit unermüdlich unterwegs, um Freunde, Bekannte und andere Menschen zu finden, die bereit waren, Begnadigungsgesuche für ihren Mann einzureichen.
Sie wusste nicht, wann das Urteil vollsteckt wurde. Als ihr rund drei Wochen nach der Hinrichtung am 15. September der Ort seines Grabes auf dem Dortmunder Hauptfriedhof schriftlich mitgeteilt wurde, war sie bereits gesundheitlich zusammengebrochen. Sie hatte wohl nie eine wirkliche Chance, aber sie hat trotzdem einem verbrecherischen Regime die Stirn geboten, bis sie nicht mehr konnte. Sie hat Widerstand geleistet im besten Sinne.
Kurze Zeit später wurde bei ihr Magenkrebs festgestellt. Daran starb sie im März 1945. Eigentlich wurde sie mit ihrem Mann ermordet.
Ich wünsche mir sehr, dass wir es schaffen, eine Form zu finden, an diese vergessene mutige Frau zu erinnern. Nicht mit einem weiteren klotzigen Stein und erst recht nicht mit einem weiteren pathetischen Bekenntnis. Ich denke, es sollte eher darum gehen, die beiden, die hier liegen, nicht mehr nur als Kämpfer und auch nicht nur Opfer zu sehen, sondern ihnen ihre Ruhe zu gönnen.
Es gibt in einem der Briefe von Heiko Ploeger aus dem Gefängnis eine Stelle, an der er sie ganz direkt anspricht: „Liebe Henny, weißt Du noch, Ende vorigen Jahres konnte ich manchmal ne ganze Zeit mit Dir Hand in Hand sitzen, wie zu Anfang unserer Ehe, hoffentlich kommt noch dieses Jahr die Zeit wieder, wo wir alles um uns vergessen können.“ – Wenn es Menschen gibt, die es verdient haben, alles um sich vergessen zu können, dann sind es diese beiden. Ich finde, das könnte hier für Henny Ploeger auf einer angemessenen, bescheidenen Platte stehen.
Das Gedenken an solche wie diese beiden verleitet leicht zum Pathos. Natürlich haben sie gekämpft und natürlich waren sie Opfer. Aber sie waren vor allem ganz normale Menschen mit ganz normalen Träumen vom ganz einfachen, kleinen Glück. Auch als solche fehlen sie noch heute.
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