Ers­te Woche (7. Novem­ber bis 13. Novem­ber 2022)

Mon­tag, 7. Novem­ber 2022 (Ankunft):

Nichts Außer­ge­wöhn­li­ches, aber es war nun mal das letz­te “nor­ma­le” (Hotel-)Frühstück vor mei­ner Fahrt in die Klinik.

Die Anrei­se per Bahn am Sonn­tag, mit Über­nach­tung in Schwein­furt war die rich­ti­ge Ent­schei­dung. So konn­te ich heu­te ent­spannt auf­ste­hen, noch ein­mal sün­dig früh­stü­cken und mich dann auf den Weg machen: Taxi (vom Hotel zum Bahn­hof Schwein­furt) – Lini­en­bus (von Schwein­furt nach Gerolz­ho­fen) – noch­mal Taxi (von Gerolz­ho­fen zur Kli­nik am Stei­ger­wald). Es geht auch sehr viel teu­rer nur mit einem Taxi, aber so war es ganz in Ordnung.

Mit Betre­ten der Kli­nik beginnt wie­der das Leben mit Mund­schutz. Außer mir sind zwei Frau­en neu ange­kom­men. Kaum sit­ze ich an der Anmel­dung, rollt ein Her­mes-Bote mei­nen Kof­fer her­ein. Zwei Tage spä­ter als bestellt, aber trotz­dem pünkt­lich. Das schafft auch nicht jeder. Kom­pli­ment, Deut­sche Bahn.

Von der Anmel­dung gleich wei­ter zum Arzt­ter­min. Die Auf­nah­me­ärz­tin bleibt auch mei­ne Ärz­tin für den Auf­ent­halt. Wir gehen recht aus­führ­lich mei­ne Krank­heits­ge­schich­te durch (knapp 45 Minu­ten). Mit etwas Abstand fol­gen noch ein­mal etwa 20 Minu­ten Vor­stel­lung beim Oberarzt.

Das ers­te TCM-Essen: Mit Span­nung erwar­tet, erwies es sich als lecker. Süß­kar­tof­fel-Cur­ry mit Mie­nu­deln. Hat­te ich noch nie, wür­de ich aber noch­mal nehmen.

Das Zim­mer: Freund­lich, nicht zu klein, war­me Far­ben, viel Holz, auch an den elek­trisch ver­stell­ba­ren Bet­ten, Bal­kon mit einer sehr schö­nen Fern­sicht (spä­ter mehr) kein Fern­se­her (auch dazu spä­ter mehr). Es ist wie in jeder Kli­nik, wer am längs­ten da ist, kriegt das Bett am Fens­ter. Ich schla­fe also an der Wand und das darf auch so sein.

Diens­tag, 8. Novem­ber 2022

Geweckt wird hier, sehr zivil, ab 7.30 Uhr. Der ers­te (zwei­te) Tag beginnt mit Wie­gen, Blut­druck­mes­sen und Blut­ab­nah­me. Die Mahl­zei­ten wer­den, Coro­na-bedingt, in zwei Grup­pen ein­ge­nom­men. Das Früh­stück um 8 Uhr und um 8.45 Uhr. Ich brau­che mor­gens mei­ne Zeit. Da bin ich sehr froh, dass ich immer in der zwei­ten Grup­pe bin. Das gilt fast noch mehr für das Abend­essen um 17.45 Uhr statt um 17 Uhr.

10 Uhr Arzt­ter­min, 12 Uhr Kör­per­the­ra­pie. Dass sich mal jemand um mei­ne Fuß­re­flex­zo­nen küm­mert, kann­te ich bis­her noch nicht. Erst recht nicht fast 45 Minu­ten. Des­halb wuss­te ich auch bis­her nicht, wie gut das tut. Als ich hin­aus­ge­he bin ich etwas unsi­cher, habe dann aber doch das Gefühl zwei Mil­li­me­ter grö­ßer zu sein. So bleibt es ein paar Stunden.

Mein Zim­mer­nach­bar ist ein sehr freund­li­cher Schwei­zer, Phy­sio­the­ra­peut von Beruf, unge­fähr mein Alter. Er hat eben­so Poly­neu­ro­pa­thie, aber in einem frü­hen Sta­di­um. Auch er ist in die­se Kli­nik gekom­men, weil in sei­nem Land, wie in Deutsch­land, die PNP ohne Ursa­che schul­me­di­zi­nisch nicht behan­delt wird.

Als ich abends zum Essen gehe (es gibt Fal­a­fel mit Dip) mer­ke ich, dass ich zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit mei­ne Füße wie­der ein wenig abrol­len kann. Ich las­se klamm­heim­lich mei­ne Fuß­re­flex­zo­nen-Mas­seu­rin mit einer klei­nen Ehren­run­de hoch­le­ben. Auch das bleibt zwar nur einen Abend, aber es ist für den Ein­stieg ein unglaub­lich gutes Gefühl, zu bemer­ken, da geht schein­bar noch was.

Mitt­woch, 9. Novem­ber 2022

Let’s talk about Dekokt. Die wesent­li­che TCM-Medi­zin sind in der Kli­nik am Stei­ger­wald die soge­nann­ten Dekok­te, aus Heil­pflan­zen her­ge­stell­te Auf­güs­se. Jede Pati­en­tin und jeder Pati­ent bekommt davon täg­lich zwei Ther­mos­kan­nen, eine vor‑, die ande­re nach­mit­tags, die dann in klei­nen Por­tio­nen aus­ge­trun­ken wer­den soll. Brrrrh, chi­ne­si­sche Heil­pflan­zen, kann das schme­cken? – Na ja, etwa so wie ein halb­wegs ange­neh­mer Kräu­ter­tee. Also, es geht … und wenn man sich dran gewöhnt hat, geht’s sogar ganz gut. Übri­gens, wenn ein Dekokt über­haupt nicht schmeckt, ent­hält er wahr­schein­lich die fal­sche Medi­zin (Heil­pflan­zen). Ich habe mich anfangs schwer damit getan, jeweils die­sen knap­pen hal­ben Liter pro Fla­sche zu trin­ken. Es war mir ein­fach zuviel, aber ich habe mich auch dar­an gewöhnt.

Heu­te Nach­mit­tag bekam ich die ers­te Akku­punk­tur mei­nes Lebens. Je eine Nadel in Hän­de, Unter­schen­kel und Füße. Sie sol­len, sagt mei­ne Ärz­tin, eine beru­hi­gen­de und ent­span­nen­de Wir­kung haben. Das hat wohl funktioniert …

 

Don­ners­tag, 10. Novem­ber 2022

Stell Dir vor, Du gehst in der TCM-Kli­nik zum Früh­stück und die ers­te Fra­ge, die Dir gestellt wird, ist: „Möch­ten Sie Tee oder Kaf­fee?“ – Wie bit­te, Kaf­fee? „Na ja“, lau­tet die Ant­wort, „es ist Lupi­nen-Kaf­fee.“ – „Ach“, murm­le ich vor mich hin, „den rich­ti­gen Kaf­fee gibt’s ver­mut­lich nur für’s Küchen­per­so­nal.“ Sie hat Humor, grinst und holt mir das ange­sag­te dunk­le Getränk.

Über­haupt, mit mei­nen Krü­cken bin ich hier pri­vi­le­giert. Soweit ich bis­her sehen konn­te, bin Ich aktu­ell der Ein­zi­ge mit sol­chen Gerät­schaf­ten. Ich wer­de des­halb an den Tischen plat­ziert, die für Per­so­nen mit Roll­stuhl und Rol­la­tor reser­viert sind – und ich wer­de bedient. Alle ande­ren Pati­en­ten bedie­nen sich selbst an Büffets.

So kam ich schon am Diens­tag zum ers­ten Hir­se­brei-Früh­stück mei­nes Lebens. Die Küchen­frau, eben­so freund­lich wie patent, frag­te mich schon am ers­ten Tag, was ich denn früh­stü­cken woll­te. Als ich mich etwas rat­su­chend umsah, nahm sie die Sache in die Hand: „Ich mache Ihnen mal eine Pro­bier-Por­ti­on.“ Dann brach­te sie ein Schäl­chen mit (lau-)warmem Hir­se­brei, dar­über etwas Apfel­brei und ein paar Früchte.

Das ist schon eine hef­ti­ge Umstel­lung für jeman­den, der wochen­tags an selbst­ge­ba­cke­nes Brot und an den Wochen­en­den an Bröt­chen zum Früh­stück gewöhnt ist. Also gut, ich hab’s gelöf­felt. Und, ja, es schmeckt sogar. Es ist halt unge­wohnt, die ers­ten zwei­mal. Heu­te ist es das drit­te Mal und es geht schon. Es kann schließ­lich nicht schlecht sein, wovon sich wei­te Tei­le der Welt­be­völ­ke­rung ernähren.

Übri­gens gön­ne ich mir nach dem gelöf­fel­ten Schäl­chen noch zwei ganz ein­fa­che Schei­ben Voll­korn­brot, nur mit But­ter. Mhmm … Es gibt auch Mar­me­la­de, Honig und Auf­stri­che. Die pro­bie­re ich sicher spä­ter mal.

Frei­tag, 11. Novem­ber 2022

Langsam bekom­men die Abläu­fe hier auch für mich etwas Nor­ma­les. Das zeigt sich viel­leicht auch dar­in, dass ich heu­te mor­gen tie­fen­ent­spannt erwach­te und es beim Blut­druck­mes­sen auf einen Traum­wert von 100 zu 60 brach­te. In jun­gen Jah­ren, als ich noch regel­mä­ßig Sport mach­te, war das kei­ne Sel­ten­heit, aber so beru­hi­gend nied­rig war der Wert wohl schon seit Jahr­zehn­ten nicht mehr.

In der Kör­per­the­ra­pie gab es heu­te etwas Neu­es, die ers­te Tui­na-Mas­sa­ge mei­nes Lebens. Ich geb’s zu, ich muss­te die The­ra­peu­tin auch erst fra­gen, was sie da macht. Sie erklärt es als Tech­nik, bei der sie durch Drü­cken und Grei­fen ent­lang der Kör­per­me­ri­dia­ne vor­han­de­ne Blo­cka­den auf­lö­sen und die Ener­gien wie­der zum Flie­ßen brin­gen will. Sie sagt, sie wen­de eine sanf­te Form von Tui­na an. In Chi­na wür­de es manch­mal deut­lich rup­pi­ger prak­ti­ziert. Mir gefällt das Sanfte.

Als ich mich, wie immer, recht wacke­lig von der Mas­sa­ge­le­ge erhe­be, stellt sich die The­ra­peu­tin recht nahe vor mich hin und sagt, sie wol­le kon­trol­lie­ren, wie weit ich mich auf­rich­ten kön­ne. Ich ver­su­che es und schaf­fe es zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit zu Ste­hen, ohne dabei in die Knie zu gehen. Bes­ser noch, ich ste­he da noch immer wacke­lig, aber ziem­lich auf­recht und mit durch­ge­drück­ten Knien. – Dann grei­fe ich mir wie­der mei­ne Krü­cken und stak­se ver­spä­tet zum Mit­tag­essen. Es gibt Tages­sup­pe und Polen­ta mit Boh­nen. Für den Erfolg hät­te es schon etwas fest­li­cher sein dürfen.

Sams­tag, 12. Novem­ber 2022

Es ist Sams­tag und auf mei­nem Ter­min­plan für heu­te steht … Nichts. Abso­lut Gar nichts. – Natür­lich könn­te man jetzt auf die Idee kom­men, das lie­ge an der Wochen­end­pau­se des Kli­nik­per­so­nals. Das ist aber wohl nur die hal­be Wahrheit.

Ich bin am Mon­tag hier ange­kom­men und habe eigent­lich spä­tes­tens seit Diens­tag das Gefühl in eine ganz ande­re Welt gera­ten zu sein. Der ulti­ma­ti­ve Beweis dafür ist für mich, dass ich am Mitt­woch­mor­gen die Nach­richt bekam, Armi­nia Bie­le­feld habe am Vor­abend 2:0 in Pader­born gewon­nen. Das Spiel hat­te ich total ver­ges­sen. Ich, als Armi­nen-Fan. Zuhau­se wäre mir das nicht passiert.

Aber ich ver­pas­se nicht nur solch ent­schei­den­de Ereig­nis­se. Ich habe seit Sonn­tag kaum oder gar nicht zur Kennt­nis genom­men, was über­haupt in der Welt pas­siert. Sonst könn­te ich mir kei­nen Tag vor­stel­len, ohne über Poli­tik, Welt­ge­sche­hen und manch­mal auch Gos­sip infor­miert zu sein. Hier ist es, als mach­te das Leben eine Voll­brem­sung. Ich bin aus­ge­stie­gen und ste­he im Wald, im Steigerwald.

Tags­über bin ich unter­wegs, drei­mal Essen, Arzt­ter­min, Kör­per­the­ra­pie, Akku­punk­tur und Sons­ti­ges. Mit mei­nen stak­si­gen Krü­cken strengt mich das ganz schön an. Der Dekokt bringt den Kör­per auch inner­lich in Bewe­gung. Das mer­ke ich. Des­halb schla­fe ich tags­über häu­fi­ger. Ja, und was ist mit Fern­se­hen? – Das letz­te was ich sah, war der Tat­ort am Sonn­tag. Ein Lang­wei­ler mit blö­der Geschich­te. Hier gibt es einen Fern­seh­raum. Den habe ich aber bis­her noch nicht gese­hen. Es fehlt mir nicht. Ich lese viel, gehe um 22 Uhr ins Bett, lese dann noch etwas wei­ter und schlum­me­re dann weg.

Ich beschrei­be das des­halb so aus­führ­lich, weil ich glau­be, dass hier die Voll­brem­sung des All­tags zum Pro­gramm gehört. Es könn­te der Ein­druck ent­ste­hen, es sei vor allem die Kör­per­the­ra­pie, die für Ver­än­de­run­gen und Fort­schrit­te sorgt. Das wäre zu kurz gedacht. Ärzt­li­che Behand­lun­gen, The­ra­pien, Medi­zin (Dekok­te) und die tota­le Ruhe bil­den ein >Gesamt­kunst­werk<.

Sonn­tag, 13. Novem­ber 2022

Der Sams­tag war ein wenig text­las­tig. Des­halb heu­te ein bild­schö­ner Sonn­tag. Der begann natür­lich mit Hir­se­brei, aber auch mit einem ech­ten gekoch­ten Ei, einem ech­ten Bröt­chen … und ech­tem Lupi­nen­kaf­fee. Es folg­te ein Arzt­ter­min und Akku­punk­tur.  Und dann der Blick nach draußen.

Es scheint ein bild­schö­ner Tag zu wer­den und von hier hat man eine sehr schö­ne Aus­sicht. Die Kli­nik liegt im Wald, ober­halb eines Wein­bergs. Dar­un­ter liegt wei­tes Land. Heu­te mor­gen lag es, wie häu­fig in die­sen Tagen, fast völ­lig unter einer Wolkendecke.

Die Aus­sicht erin­nert ein wenig an den Blick, den Her­for­der vom Restau­rant Stein­mey­er ken­nen. Nach links, wo dort das Her­manns­denk­mal zu sehen ist, fin­det man hier den Spes­sart und sei­ne Aus­läu­fer. Wo man von Her­ford aus die Müll­ver­bren­nungs­an­la­ge in Hee­pen fin­det, gibt es hier die Kühl­tür­me und das Reak­tor­ge­bäu­de des AKW Gra­fen­rhein­feld. Und rechts, etwa wo man von Stein­mey­er aus Jöl­len­beck ver­mu­tet, fin­det sich hier die Metro­po­le Schwein­furt. (Übri­gens: wenn man die Fotos auf einem Lap­top oder Com­pu­ter anklickt, wer­den sie <groß<. Nicht meckern; Ich habe die Bil­der aus der Hand foto­gra­fiert und jeweils zwei auf die Schnel­le zusammengefrickelt.)

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