Die Geschichte des Kriegsdienstverweigerers Hermann Abke
Meine Nachforschungen zu Hermann Abke führten übrigens dazu, dass auch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Bundeszentrale für politische Bildung auf seinen Fall aufmerksam wurden. Auf den Webseiten beider Einrichtungen wird Abkes Schicksal besonders vorgestellt. (Die Internet-Adressen finden Sie unter diesem Artikel.)
Der 27. April 1944 war ein trüber, kühler Donnerstag in Herford. Noch am Tag zuvor hatte Hermann Abke als Dreher bei der Bielefelder Fahrradfabrik Wittler gearbeitet. Für seine damals dreijährige Tochter Lydia ist es eine der ersten Kindheitserinnerungen, wie sie mit ihrer Mutter am Fenster des Hauses in der Hardenbergstraße winkte, als ihr Vater sich morgens auf den Weg zum Wehrbezirkskommando in der Kurfürstenstraße machte.
Dass sogar ein 40jähriger, noch dazu ein dreifacher Familienvater, den Einberufungsbefehl erhielt, war im fünften Jahr des Zweiten Weltkriegs längst keine Besonderheit mehr. Was dies jedoch für Abke bedeutete, kann vermutlich kein Außenstehender ermessen.
Er gehörte den Ernsten Bibelforschern an, wie die Zeugen Jehovas in dieser Zeit genannt wurden. Die Glaubensgemeinschaft war verboten und schweren Verfolgungen ausgesetzt. Rund 10.000 der insgesamt 19.000 Mitglieder kamen in Haft. Etwa 4.000 starben in Konzentrationslagern oder wurden ermordet.
Wann Abke zu den Zeugen Jehovas kam, ist nicht sicher. Eindeutig ist, als er 1944 einberufen wurde, lebte er sehr klar und in voller Überzeugung in seinem Glauben und nach dem Wortlaut der Bibel. Für ihn war unvorstellbar, „den heiligen Eid“ zu schwören, der ihn „bei Gott“ verpflichten sollte „dem Führer unbedingten Gehorsam zu leisten und jederzeit für diesen Eid sein Leben einzusetzen.“
Die Ernsten Bibelforscher waren die konsequentesten Kriegsdienstverweigerer. Angesichts von »nur« 19.000 Zeugen Jehovas unter damals rund 70 Milionen Deutschen, ist es nachvollziehbar, dass lediglich einige Hundert Angehörige der Glaubensgemeinschaft einberufen wurden. Etwa 270 von ihnen wurden jedoch zwischen 1939 und 1945 nach dem NS-Kriegsrecht hingerichtet. Nach Zahlenangaben von 1948 bezahlten im gleichen Zeitraum 1 evangelischer und 7 katholische Christen, 1 Quäker und 7 Adventisten ihre Weigerung mit dem Leben.
Abke ging nicht unvorbereitet. Sein Sohn berichtet aus Gesprächen mit seiner Mutter, dass die Eltern – offenbar auch im Austausch mit anderen Glaubensbrüdern und ‑schwestern beschlossen, dass Hermann Abke den Weg der Verweigerung gehen sollte. Mit allen Konsequenzen. Andere Überlegungen wie Untertauchen oder Flucht haben offensichtlich nie eine Rolle gespielt.
Mit einer Postkarte vom selben Tag, geschrieben auf den Knien im fahrenden Zug und eingeworfen in Bielefeld, teilt Abke seiner Frau mit: „Bin auf der Fahrt nach Arnsberg. Meine Erklärung wurde in Herford nicht angenommen. Das soll ich bei der Truppe machen, wurde mir gesagt.“
Das Baupionier-Ausbildungs-Bataillon 6 schrieb in seinem „Tatbericht“ an das Gericht der zuständigen 176. Division in Bielefeld, der „nach hier einberufene Beschuldigte verweigert die Einkleidung als Soldat und die Leistung des Eides.“
Was Abke tat, hatte das NS-Regime zu einem Verbrechen nach § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung erklärt. Das Wortungetüm war einer jener Gummiparagraphen, die geschaffen wurden, um mit rücksichtsloser Härte gegen alles vorgehen zu können, das die Kriegführung des Nazi-Staates behinderte.
Die Kriegsrichter in Bielefeld wären üblicherweise die nächste Stufe der Militärjustiz gewesen. Sie waren skrupellos genug, um in den Jahren 1943 bis 1945 – nach sehr unvollständigen Unterlagen – mindestens zehn Divisionsangehörige im Untersuchungsgefängnis Dortmund hinrichten zu lassen. Aber ein „Verbrechen“, wie es Abke beging, überstieg ihre Kompetenzen.
Wie alle Prozesse gegen Zeugen Jehovas wurde auch das Verfahren gegen ihn direkt an das Reichskriegsgericht verwiesen. Dieses war, wegen ständiger Bombenangriffe auf Berlin ins sächsische Torgau, verlegt worden. Abke wurde dort im Fort Zinna inhaftiert. Torgau war seit 1936 zum Zentrum der Militärjustiz des Dritten Reiches ausgebaut worden. In diesem Zusammenhang wurde Fort Zinna zum größten Und modernsten Gefängnis der NS-Wehrmacht ausgebaut.
Am 27. Juni 1944, zwei Monate nachdem er seine Familie verlassen musste, stand der einfache Dreher aus Herford in der Zieten-Kaserne allein vor dem in voller Besetzung angetretenen Ersten Senat des höchsten deutschen Kriegsgerichtes: 1 Ankläger, 3 Richter, 2 Beisitzer und 1 Urkundsbeamter.
Fünf Tage zuvor war Abke sogar noch ein „Anwalt von Amts wegen“ beigeordnet worden. Dieser wohnte offenbar wegen weiterer Fälle gerade im Torgauer Hotel „Goldener Anker“. Für Abke war das belanglos. Der Verteidiger erschien nicht zur Verhandlung.
Die NS-Juristen machten kurzen Prozess. Für den Schuldspruch nahmen sie sich nur ein Wort mehr als zwei Schreibmaschinenzeilen: „Der Angeklagte wird wegen Verweigerung des Wehrdienstes zum Tode, zum dauernden Verlust der Ehrenrechte und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt.“
Zur Begründung ließen sie auf einer halben Seite die Formalien des Verfahrens wiederholen, bis der entscheidende Satz folgte: „Wer seinem Volke in schwerster Kriegszeit den Wehrdienst verweigert, kann nur zum Tode verurteilt werden.“
Am 17. Juli 1944 um 17.14 Uhr wurde Hermann Abke hingerichtet. Auch in Fort Zinna wurden während der NS-Zeit hunderte zum Tode Verurteilter im Wallgraben und in einer nahegelegenen Kiesgrube erschossen. Um jedoch die ungeheure Vielzahl der Todesurteile durch das Reichskriegsgericht und untergeordnete Militärgerichte auch in den letzten Kriegsjahren vollstrecken zu können, griff die Wehrmacht längst auf „zivile“ Hinrichtungsstätten zurück. Abke wurde mit der Fallbeilmaschine in der Justizvollzugsanstalt Halle/Saale ermordet. Wie üblich, fanden dort die Tötungen im Zwei-Minuten-Abstand statt. Sie wurden an Ort und Stelle protokolliert.
Zwei Tage zuvor hatte sich Abke mit einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief von seiner Frau, den Kindern und den übrigen Angehörigen verabschiedet. In einer kaum nachvollziehbaren Selbstgewissheit und Erwartung auf das Jenseits schrieb er: „Der Kampf bestand nur darin, dass ich von allen Seiten immer wieder aufgefordert wurde, doch einzugestehen. Der Krieg würde nur noch eine kurze Zeit dauern und vor allen Dingen, ich solle doch an die Kinder denken, die dann doch keinen Vater mehr haben. Ich habe die dazu gehörigen Antworten gegeben, aber wir werden nun mal nicht verstanden. Nun, mein liebes Mariechen, liebe Kinder, alle Verwandte und Bekannte, recht herzliche Grüße von Hermann. Auf Wiedersehen!“
*) Weitere Kurzdarstellungen zu Hermann Abke finden Sie auf der Internetseie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Bundeszentrale für politische Bildung.
Diese Geschichte hat ein ganz besonderes Nachspiel.
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