Die Geschichte des Kriegsdienstverweigerers                                             Hermann Abke

Mit den Recher­chen zu Her­mann Abke begann ich im Jahr 1990. Zuvor war mir sein Name auf einem Gedenk­blatt der Her­for­der »Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi-Regimes« aus dem Jahr 1948 auf­ge­fal­len. Die Geschich­te eines Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rers der von den Nazis für ehr­los erklärt und ermor­det wur­de. Sol­che wie er waren auch nach Krieg oft noch lan­ge Jah­re von nicht weni­gen »ehr­ba­ren« Bun­des­bür­gern geäch­tet wor­den. So ent­stand wäh­rend der Spu­ren­su­che die Idee, am Volks­trau­er­tag, jenem Gedenk­tag, der noch vie­le Jah­re in der Tadi­ti­on des mili­ta­ris­tisch und sol­da­ten­bün­disch gepräg­ten »Hel­den­ge­denk­tags«. stand, an die­sen Mann zu erin­nern. Im Novem­ber 1990 ver­öf­fent­lich­te die Tages­zei­tung »Neue West­fä­li­sche« zum ers­ten Mal die­se Geschich­te, die ich hier in einer deut­lich über­ar­bei­te­ten Fas­sung vorstelle.

Mei­ne Nach­for­schun­gen zu Her­mann Abke führ­ten übri­gens dazu, dass auch die Gedenk­stät­te Deut­scher Wider­stand und die Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung auf sei­nen Fall auf­merk­sam wur­den. Auf den Web­sei­ten bei­der Ein­rich­tun­gen wird Abkes Schick­sal beson­ders vor­ge­stellt. (Die Inter­net-Adres­sen fin­den Sie unter die­sem Artikel.) 

 

Der 27. April 1944 war ein trü­ber, küh­ler Don­ners­tag in Her­ford. Noch am Tag zuvor hat­te Her­mann Abke als Dre­her bei der Bie­le­fel­der Fahr­rad­fa­brik Witt­ler gear­bei­tet. Für sei­ne damals drei­jäh­ri­ge Toch­ter Lydia ist es eine der ers­ten Kind­heits­er­in­ne­run­gen, wie sie mit ihrer Mut­ter am Fens­ter des Hau­ses in der Har­den­berg­stra­ße wink­te, als ihr Vater sich mor­gens auf den Weg zum Wehr­be­zirks­kom­man­do  in der Kur­fürs­ten­stra­ße machte.

Dass sogar ein 40jähriger, noch dazu ein drei­fa­cher Fami­li­en­va­ter, den Ein­be­ru­fungs­be­fehl erhielt,  war im fünf­ten Jahr des Zwei­ten Welt­kriegs längst kei­ne Beson­der­heit mehr. Was dies jedoch für Abke bedeu­te­te, kann ver­mut­lich kein Außen­ste­hen­der ermessen.

Er gehör­te den Erns­ten Bibel­for­schern an, wie die Zeu­gen Jeho­vas in die­ser Zeit genannt wur­den. Die Glau­bens­ge­mein­schaft war ver­bo­ten und schwe­ren Ver­fol­gun­gen aus­ge­setzt. Rund 10.000 der ins­ge­samt 19.000 Mit­glie­der kamen in Haft. Etwa 4.000 star­ben in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern oder wur­den ermordet.

Familie Abke

Marie­chen und Her­mann ‘Abke mit ihrer Toch­ter Lydia im Jahr 1941.

Wann Abke zu den Zeu­gen Jeho­vas kam, ist nicht sicher. Ein­deu­tig ist, als er 1944 ein­be­ru­fen wur­de, leb­te er sehr klar und in vol­ler Über­zeu­gung in sei­nem Glau­ben und nach dem Wort­laut der Bibel. Für ihn war unvor­stell­bar, „den hei­li­gen Eid“ zu schwö­ren, der ihn „bei Gott“ ver­pflich­ten soll­te „dem Füh­rer unbe­ding­ten Gehor­sam zu leis­ten und jeder­zeit für die­sen Eid sein Leben einzusetzen.“

Die Erns­ten Bibel­for­scher waren die kon­se­quen­tes­ten Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer. Ange­sichts von »nur« 19.000 Zeu­gen Jeho­vas unter damals rund 70 Mili­o­nen Deut­schen, ist es nach­voll­zieh­bar, dass ledig­lich eini­ge Hun­dert Ange­hö­ri­ge der Glau­bens­ge­mein­schaft ein­be­ru­fen wur­den. Etwa 270 von ihnen wur­den jedoch zwi­schen 1939 und 1945 nach dem NS-Kriegs­recht hin­ge­rich­tet. Nach Zah­len­an­ga­ben von 1948 bezahl­ten im glei­chen Zeit­raum 1 evan­ge­li­scher und 7 katho­li­sche Chris­ten, 1 Quä­ker und 7 Adven­tis­ten ihre Wei­ge­rung mit dem Leben.

Abke ging nicht unvor­be­rei­tet. Sein Sohn berich­tet aus Gesprä­chen mit sei­ner Mut­ter, dass die Eltern – offen­bar auch im Aus­tausch mit ande­ren Glau­bens­brü­dern und ‑schwes­tern beschlos­sen, dass Her­mann Abke den Weg der Ver­wei­ge­rung gehen soll­te. Mit allen Kon­se­quen­zen. Ande­re Über­le­gun­gen wie Unter­tau­chen oder Flucht haben offen­sicht­lich nie eine Rol­le gespielt.

Mit einer Post­kar­te vom sel­ben Tag, geschrie­ben auf den Knien im fah­ren­den Zug und ein­ge­wor­fen in Bie­le­feld, teilt Abke sei­ner Frau mit:  „Bin auf der Fahrt nach Arns­berg. Mei­ne Erklä­rung wur­de in Her­ford nicht ange­nom­men. Das soll ich bei der Trup­pe machen, wur­de mir gesagt.“

Das Bau­pio­nier-Aus­bil­dungs-Batail­lon 6 schrieb in sei­nem „Tat­be­richt“ an das Gericht der zustän­di­gen 176. Divi­si­on in Bie­le­feld, der „nach hier ein­be­ru­fe­ne Beschul­dig­te ver­wei­gert die Ein­klei­dung als Sol­dat und die Leis­tung des Eides.“

Kries-Sonderstrafrechts-Verodnung

§ 5 der Kriegs­son­der­straf­rechts­ver­ord­nung (KSSVO). Der Begriff der Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung kommt dar­in über­haupt nicht vor. Statt­des­sen wur­de ein »Gum­mi­pa­ra­graph« geschaf­fen, der es erlaub­te, den­je­ni­gen zum Tode zu ver­ur­tei­len, “… wer es unter­nimmt, sich … der Erfül­lung des Wehr­diens­tes ganz, teil­wei­se oder zeit­wei­se zu entziehen.”

Was Abke tat, hat­te das NS-Regime zu einem Ver­bre­chen nach § 5 der Kriegs­son­der­straf­rechts­ver­ord­nung erklärt. Das Wort­un­ge­tüm war einer jener Gum­mi­pa­ra­gra­phen, die geschaf­fen wur­den, um mit rück­sichts­lo­ser Här­te gegen alles vor­ge­hen zu kön­nen, das die Krieg­füh­rung des Nazi-Staa­tes behinderte.

Die Kriegs­rich­ter in Bie­le­feld wären übli­cher­wei­se die nächs­te Stu­fe der Mili­tär­jus­tiz gewe­sen. Sie waren skru­pel­los genug, um in den Jah­ren 1943 bis 1945 – nach sehr unvoll­stän­di­gen Unter­la­gen – min­des­tens zehn Divi­si­ons­an­ge­hö­ri­ge im Unter­su­chungs­ge­fäng­nis Dort­mund hin­rich­ten zu las­sen. Aber ein „Ver­bre­chen“, wie es Abke beging, über­stieg ihre Kompetenzen.

Fort Zinna

His­to­ri­sche Ansicht von Fort Zinna aus dem Jahr 1919. Die Fes­tung war seit dem 19. Jahr­hun­dert ein preu­ßi­sches Militärgefängnis.

Wie alle Pro­zes­se gegen Zeu­gen Jeho­vas wur­de auch das Ver­fah­ren gegen ihn direkt an das Reichs­kriegs­ge­richt ver­wie­sen. Die­ses war, wegen stän­di­ger Bom­ben­an­grif­fe auf Ber­lin ins säch­si­sche Tor­gau, ver­legt wor­den. Abke wur­de dort im Fort Zinna inhaf­tiert. Tor­gau war seit 1936 zum Zen­trum der Mili­tär­jus­tiz des Drit­ten Rei­ches aus­ge­baut wor­den. In die­sem Zusam­men­hang wur­de Fort Zinna zum größ­ten Und moderns­ten Gefäng­nis der NS-Wehr­macht ausgebaut.

Abke-Urteil

Ers­te Sei­te des Kriegs­ge­richts-Urteils gegen Her­mann Abke

Am 27. Juni 1944, zwei Mona­te nach­dem er sei­ne Fami­lie ver­las­sen muss­te, stand der ein­fa­che Dre­her aus Her­ford in der Zie­ten-Kaser­ne allein vor dem in vol­ler Beset­zung ange­tre­te­nen Ers­ten Senat des höchs­ten deut­schen Kriegs­ge­rich­tes: 1 Anklä­ger, 3 Rich­ter, 2 Bei­sit­zer und 1 Urkundsbeamter.

Fünf Tage zuvor war Abke sogar noch ein „Anwalt von Amts wegen“ bei­geord­net wor­den. Die­ser wohn­te offen­bar wegen wei­te­rer Fäl­le gera­de im Tor­gau­er Hotel „Gol­de­ner Anker“. Für Abke war das belang­los. Der Ver­tei­di­ger erschien nicht zur Verhandlung.

Begründung

Der ent­schei­den­de Satz aus der Begrün­dung des Todes­ur­teils gegen Her­mann Abke.

Die NS-Juris­ten mach­ten kur­zen Pro­zess. Für den Schuld­spruch nah­men sie sich nur ein Wort mehr als zwei Schreib­ma­schi­nen­zei­len: „Der Ange­klag­te wird wegen Ver­wei­ge­rung des Wehr­diens­tes zum Tode, zum dau­ern­den Ver­lust der Ehren­rech­te und zum Ver­lust der Wehr­wür­dig­keit verurteilt.“

Zur Begrün­dung lie­ßen sie auf einer hal­ben Sei­te die For­ma­li­en des Ver­fah­rens wie­der­ho­len, bis der ent­schei­den­de Satz folg­te: „Wer sei­nem Vol­ke in schwers­ter Kriegs­zeit den Wehr­dienst ver­wei­gert, kann nur zum Tode ver­ur­teilt werden.“

Das Todes­ur­teil gegen Her­mann Abke wur­de in der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt »Roter Och­se« in der dor­ti­gen Hin­rich­tungs­stät­te mit einer Fall­beil­ma­schi­ne vollstreckt.

Am 17. Juli 1944 um 17.14 Uhr wur­de Her­mann Abke hin­ge­rich­tet. Auch in Fort Zinna wur­den wäh­rend der NS-Zeit hun­der­te zum Tode Ver­ur­teil­ter im Wall­gra­ben und in einer nahe­ge­le­ge­nen Kies­gru­be erschos­sen.  Um jedoch die unge­heu­re Viel­zahl der Todes­ur­tei­le durch das Reichs­kriegs­ge­richt und unter­ge­ord­ne­te Mili­tär­ge­rich­te auch in den letz­ten Kriegs­jah­ren voll­stre­cken zu kön­nen, griff die Wehr­macht längst auf „zivi­le“ Hin­rich­tungs­stät­ten zurück. Abke wur­de mit der Fall­beil­ma­schi­ne in der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt Halle/Saale ermor­det. Wie üblich, fan­den dort die Tötun­gen im Zwei-Minu­ten-Abstand statt. Sie wur­den an Ort und Stel­le protokolliert.

Zwei Tage zuvor hat­te sich Abke mit einem aus dem Gefäng­nis geschmug­gel­ten Brief von sei­ner Frau, den Kin­dern und den übri­gen Ange­hö­ri­gen ver­ab­schie­det. In einer kaum nach­voll­zieh­ba­ren Selbst­ge­wiss­heit  und Erwar­tung auf das Jen­seits schrieb er: „Der Kampf bestand nur dar­in, dass ich von allen Sei­ten immer wie­der auf­ge­for­dert wur­de, doch ein­zu­ge­ste­hen. Der Krieg wür­de nur noch eine kur­ze Zeit dau­ern und vor allen Din­gen, ich sol­le doch an die Kin­der den­ken, die dann doch kei­nen Vater mehr haben. Ich habe die dazu gehö­ri­gen Ant­wor­ten gege­ben, aber wir wer­den nun mal nicht ver­stan­den. Nun, mein lie­bes Marie­chen, lie­be Kin­der, alle Ver­wand­te und Bekann­te, recht herz­li­che Grü­ße von Her­mann. Auf Wiedersehen!“

*) Wei­te­re Kurz­dar­stel­lun­gen zu Her­mann Abke fin­den Sie auf der Inter­net­seie der Gedenk­stät­te Deut­scher Wider­stand und der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bildung.

Diese Geschichte hat ein ganz besonderes Nachspiel.

Sie finden es hier …

 

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