Wegen eines technischen Problems wird der Podcast mit der Hörfassung dieses Beitrags nachgereicht. Ich bitte um Verständnis.
Textfassung:
Im April 2019 wurde der Text des Gedenk-»Stolpersteins« für den Bielefelder Arbeiter Fritz Bockhorst geändert und der Stein ausgewechselt. Bockhorst habe sich am 30. Juni 1944 in seiner Zelle im Polizeigefängnis an der Turnerstraße erhängt, hatten die Gestapo-Beamten Karl Kaufmann und Otto Rethmeier seiner Witwe mitgeteilt . Der Grund für Bockhorsts angeblichen Freitod sei vermutlich dessen Angst vor einer Verurteilung gewesen, hatten sie als Begründung genannt. (Meinen Podcast „Tod in der Gestapo-Haft“ mit der ausführlichen Geschichte von Fritz Bockhorst findest Du hier ->)
Seine Witwe hat die Gestapo-Legende zum Tod ihres Mannes nie akzeptiert. Sie wusste, er war gefoltert und misshandelt worden. Deshalb suchte sie von Anfang an nach Hinweisen auf seinen gewaltsamen Tod. Ihren Verdacht und die Indizien gab sie in den Jahren nach dem Krieg gegenüber den bundesdeutschen Strafverfolgern zu Protokoll. Jahre später konnte sein Tod nicht mehr mit letzter Sicherheit untersucht werden. Angesichts solcher Ungewissheit blieb die Gestapo-Behauptung von Bockhorsts Selbstmord in amtlichen Dokumenten und gelangte mit der Formulierung „Flucht in den Tod“ sogar auf seinen Gedenk-Stolperstein. Aufgrund meiner Nachforschungen wurde dieser 2019 mit dem Hinweis versehen, die Umstände seines Todes wurden „nie geklärt“.
Schon damals hatte ich auch auf den Fall des Werkzeugschlossers Karl Twesmann hingewiesen. Er starb ebenso unter ungeklärten Umständen in der Bielefelder Gestapo-Haft – nur fünf Tage vor Fritz Bockhorst. Auch seine Vernehmer waren Karl Kaufmann und Otto Rethmeier. Auch sein Stolperstein, der im Jahr 2013 verlegt wurde, trug die Aufschrift: „Flucht in den Tod“.
Über den Menschen Karl Twesmann ist nur wenig bekannt. Zuletzt lebte der 63-jährige mit Ehefrau und Sohn in der Oelmühlenstraße 15. Bis zum Verbot der Partei im Jahre 1933 hatte er der SPD angehört.
Die wenigen bekannten Quellen zeichnen von ihm das Bild eines ruhigen, handwerklich geschickten Mannes. In den 1980er Jahren tauchte ein Foto auf, das Twesmann im Kreis von Kolleg(inn)en zeigen sollte. Zu sehen sind darauf 14 Beschäftigte der Abteilung »Vorrichtungs- und Lehrenbau« im Werk I der Maschinenfabrik Dürkopp. Allerdings gab es lange Zeit widersprüchliche Angaben darüber, welche der dort abgebildeten Personen denn Twesmann war.
Karl Twesmann wurde am 8. Mai 1944 an seinem Arbeitsplatz verhaftet. Ihm wurden, ebenso wie Fritz Bockhorst, sogenannte Rundfunkverbrechen vorgeworfen, also das Abhören von »Feindsendern«. Bei einer Hausdurchsuchung wurde das Rundfunkgerät der Twesmanns beschlagnahmt.
Alle Gestapo-Unterlagen über Twesmanns »Vernehmungen« sind offenbar vernichtet. Im Bundsarchiv Koblenz stieß ich auf die Aussage eines Mithäftlings, der angab, selbst von dem Gestapo-Beamten Kaufmann geprügelt, bedroht und zu teilweise falschen Aussagen erpresst worden zu sein. Er berichtete von einer Begegnung mit Twesmann während der Haft. Wenige Tage vor seinem Tod habe ihm der 63-jährige dabei von schweren Misshandlungen und Aussageerpressungen durch den 25 Jahre jüngeren Gestapo-Beamten berichtet. Twesmann habe dabei gesagt: „Ich halte es nicht mehr aus.” Eine solche Aussage gibt zwar einen deutlichen Hinweis auf seine Leidenszeit in der Haft, sie ist jedoch kein Beweis für seinen Freitod.
Sieben Wochen nach der Verhaftung Ihres Mannes, wurde Frau Twesmann mitgeteilt, ihr Mann sei am 25.06.1944 tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Zwei Tage später wurde der „Sterbefall“ auf Anzeige der Kripo-Außendiensstelle Bielefeld mit der Formulierung „Tod durch Erhängen“ in das amtliche Sterberegister eingetragen.
Es ist davon auszugehen, dass dieser Eintrag weder ärztlich noch kriminalistisch auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft wurde. Es gibt, anders als im Fall Fritz Bockhorst, keine Hinweise darauf, wann genau Twesmanns Frau vom Tod ihres Mannes erfuhr und ob sie die Leiche ihres Mannes vor der Beisetzung noch einmal sehen konnte. Auch über die Lebensumstände von Twesmanns Witwe im letzten Kriegsjahr und in den Nachkriegsjahren ist kaum etwas bekannt. Ob sie, ähnlich der Witwe Bockhorst, auf eine Möglichkeit hoffte, einen Verantwortlichen für den Tod ihres Mannes zu finden und diesen zur Rechenschaft ziehen zu können, ist ebenfalls ungewiss.
Sicher ist allein, es sind keinerlei Beweise dafür überliefert, dass Karl Twesmann den Freitod für sich wählte. Ebenso wie im Fall des Fritz Bockhorst war auch gegen ihn noch nicht einmal Anklage erhoben worden. Es ist deshalb nur konsequent, dass die Stolperstein-Initiative Bielefeld sich entschloss, auch die Inschrift des Gedenksteins für Twesmann neu zu formulieren, um deutlich zu machen, dass die Umstände seines Todes „nie geklärt“ wurden. Der geänderte Stein wurde im Herbst 2022 in der Oelmühlenstraße verlegt.
Der Versuch, dem Gedenken an Karl Twesmann knapp 80 Jahre danach endlich auch ein Gesicht zu geben und dafür ein Foto von ihm zu finden, blieb lange Zeit vergeblich. Mit freundlicher Hilfe von Dr. Jochen Rath, dem Leiter des Bielefelder Stadtarchivs, gelang es, den Enkel Karl Twesmanns ausfindig zu machen. Dieser stellte ein Foto seines Großvaters, den er selbst nie kennenlernen konnte, zur Verfügung. — Herzlichen Dank dafür!
Nachfolgendes Foto:
Karl Twesmann im Kreis von Kolleg(inn)en der Abteilung »Vorrichtungs- und Lehrenbau« im Werk I der Maschinenfabrik Dürkopp. Das Foto wurde verschiedentlich veröffentlicht, jedoch mit unterschiedlichen Angaben, welche der abgebildeten Personen Karl Twesmann war. Mit Hilfe des oben abgebildeten Foto aus dem Besitz seines Enkels ist es möglich, Twesmann eindeutig zu identifizieren. Foto: Sammlung Jochen Sänger; Bearbeitung und Montage: Dieter Begemann.
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