Zweite Seite (14. November bis 20. November 2022)
Montag, 14. November 2022
Wollen Sie noch eine Akkupunktur?“, fragte mich der Oberarzt am Ende des heutigen Arzttermins. Er hatte diesen vertretungsweise übernommen, da meine Ärztin krank war. Mir war der außerplanmäßige Termin „an der Nadel“ sehr recht, denn heute morgen war ich gar nicht gut drauf. Hier zwickte es, da zwackte es und an den unteren Gelenken tat’s sehr heftig weh. Ich bewegte mich (mal wieder) wie ein Greis. Der Oberarzt hörte sich mein Klagen an und erklärte die Probleme vor allem dann damit, dass durch die Behandlung halt viele Dinge in meinem Körper in Bewegung gebracht worden seien. Da sei es völlig normal, wenn sich die Gelenke jetzt meldeten. Er schlug vor, meinen Dekokt ein wenig zu verändern und bot dann die zusätzliche Akkupunktur an. Sie half nicht sofort, aber über den Tag wurde es ein wenig leichter.
Kurz vor Feierabend dann ein Termin bei der Körpertherapie, den ich nicht so schnell vergessen werde. Ich könnte meine Socken heute anlassen, hatte die Therapeutin gesagt. Sie wolle sich um meine Rückseite kümmern, dafür sollte ich mich normal auf die Behandlungsliege legen. Heute ginge es ihr um das Thema Grenzen spüren und Grenzen erweitern, vor allem um die Stärkung meines Rückens. Das ist für mich eine sensibles Thema, denn ich habe einen Morbus Bechterew. Meine Wirbelsäule ist, bis auf den Übergang zum Kopf, knöchern versteift.
Vor 34 Jahren hatte ich sogar eine Aufrichtungs-OP, bei der die Wirbelsäule durch 20 Schrauben, 40 Muttern und zwei Gewindestangen wieder aufgerichtet wurde. Flapsig gesagt, da bewegt sich nicht mehr viel, was gestärkt werden kann – hatte ich gedacht. Sie fuhr mit einer Hand auf meiner rechten Seite an der Hüfte unter den Körper. Es fühlte sich an, als wollte sie mit ganz leichten Bewegungen „das Gebiet absuchen,“ Psychotonik hieße, was sie da mache. Es ginge dabei um „Grenzen spüren und Grenzen erweitern“. Das Ziel sei, auf Muskeln, Atmung und Gewebe einzuwirken. „Das Gewebe ist wie eine Katze. Die zeigt auch, wenn sie gestreichelt werden will.“ – Ich mach’s kurz, als sie an meinem rechten Fuß angelengt war, fühlte ich mich auf der rechten Seite weicher, wärmer und fünf Zentimeter größer, als auf der anderen Körperhälfte.
Und links? – Dort fand sie im Bereich Steißbein/Hüfte eine Region, die mir vor Schmerzen fast den Atem nahm. Dort sind offenbar in großem Ausmaß Spannungen vorhanden, die ich vorher nie bemerkt habe. Es wird Zeit brauchen, hier für Erleichterung zu sorgen. Als sie auch hier am Fuß ankam, war ich wieder zu Atem gekommen und auch gefühlt wieder gleich groß.
Dienstag, 15. November 2022
Natürlich ist alles in diesem Sandkasten vergänglich. Schon vom nächsten Vorbeikommenden kann ein neues Muster gezeichnet werden. Aber wann haben wir im Alltag schon einmal die Chance, einfach nur aus Spaß, kleine Spuren zu hinterlassen. Ich spiele mit dem Gedanken, wenn ich ein wenig gesünder wieder hier entlassen werde, mir eine solche Spielecke im Bastelkeller daheim selbst zu bauen.
Ein wenig erinnerte mich der Sandkasten sofort an das Lied “Beachcombing” von Mark Knopfler und Emmylou Harris. Das Kämmen des der Strände ist bekannt aus vielen Urlaubsorten an der See, wo morgens die hinterlassenen Abfälle der Touristen und nach der Flut die angespülten Hinterlassenschaften der See weggeharkt werden.
Ab heute gibt es morgens einen neuen Dekokt (nachmittags bleibt’s beim alten). Seine Wirkung bleibt abzuwarten. Er schmeckt „gesunder“, das heißt etwas mehr nach Kräutern.
In der Körpertherapie stand wieder Tuina auf dem Programm und ich bin wirklich unglaublich beeindruckt von der Kompetenz und Arbeit der Frauen. Es arbeitet scheinbar nur weibliches Personal in diesem Bereich. Auch als ich hier nach etwa 45 Minuten wieder aufstand fühlte ich mich wieder einige Zentimeter größer und konnte deutlich aufrechter stehen. Meine Schmerzen, vor allem im Bereich der linken Hüfte sind unter anderem wohl durch Muskelverkürzungen infolge von Schon- und Fehlhaltungen entstanden.
Donnerstag, 17. November 2022
Die Zeit der leuchtenden Farben des Indian Summer scheint für dieses Jahr vorüber. Draußen ist es ungemütlich. Regenschauer und Nebelschwaden ziehen über das Land. Das hindert die große Meisenkolonie nicht, hektisch zwischen den Bäumen rund um die Klinikgebäude hin- und herzujagen, dabei alles plündernd, was sie noch an den Zweigen finden. Sage niemand, ungemütliche Zeiten hätten keine besonderen Bilder.
Freitag, 18. November 2022
Mir geht es in dieser Woche seltsam durchwachsen. Einerseits eindeutig positive Auswirkungen bei Tuina (Dienstag) und Psychotonik (Donnerstag). Immer wieder aber auch Schwächeln und Schmerzen an den anderen Tagen. In den letzten Nächten habe ich nach ein paar Stunden Schlaf in den Morgenstunden auch immer wieder Zeiten von „Nichtschlaf“, in denen bei geschlossenen Augen die Gedanken fliegen. In diesen Zeiten habe ich auch teilweise sehr starke Schmerzen in den Beinen. Ich kann nachvollziehen, wenn die Ärzte dies auf die Veränderungen zurück, die durch die Behandlung angestoßen werden. Das beunruhigt mich nicht, ist aber auch überhaupt nicht angenehm. In den Arztgesprächen führt es dazu, dass mein Dekokt zweimal angepasst wurde. Ich will an das Gute glauben. Wir werden sehen.
Heute war ich zum ersten Mal in der PNP-Gruppe, einem wöchentlichen Termin für die Polyneuropathie-Patienten im Vortragssaal der Klinik. Heute sitzen wir mit zwei Frauen, vier Männern und einer Therapeutin (sie macht bei mir die Psychotonik) im Stuhlkreis. Es scheint in dieser Woche eine kleine Gruppe zu sein. Mein Zimmernachbar erzählte mir, vor zwei Wochen seien es noch 14 Teilnehmende gewesen. Das “Programm” ist moderat. Eine Mischung aus “in-den-Körper-Spüren”, gegenseitiger Vorstellung und Beschreibung der Beschwerden und einem größeren Abschnitt von Bewegung (Gehen vorwärts, rückwärts, seitwärts) und Fußarbeit mit kleinen Faszienrollen und Igelbällen. Ich bin danach recht geschafft, während andere davon halt nur moderat gefordert sind.
Samstag, 19. November 2022
Nix los am Wochenende? — Das kann man so jetzt auch nicht sagen. Der Blick nach dem Aufwachen aus dem Fenster zeigt etwas, das ich so im ganzen letzten Jahr in Herford nicht gesehen habe. Richtiger Schnee fällt vom Himmel. Er bleibt sogar liegen, jedenfalls noch. Das tut den Augen und dem Gefühl ein wenig gut.
Sonntag, 20. November 2022
Schade, die Zeit der schönen Winterbilder ist wohl nach eineinhalb Tagen schon wieder vorüber. Der Schnee ging erst in Schneeregen und heute Abend dann in richtig nasses Dröppeln über. Da dürfen wir uns wohl nicht wundern, wenn morgen wieder mehr graubraungrüner Herbstschmuddel den Blick aus dem Fenster bestimmt.
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